von Annika Jähnke (Hamburg)
Als Geisteswissenschaftlerin beginne ich Diskussionen gerne bei den Begriffen. Acht Jahre Geschichtsstudium und über zwei Jahrzehnte feministischer Aktivismus haben mich gelehrt, dass Begriffe große Macht haben. Deshalb kommen wir bei der Diskussion um Hierarchie und ihren Einsatz in Organisationen nicht um ihren Ursprung herum: die altgriechische Bedeutung „heilige Ordnung“. Diese absolute Beschreibung assoziiert ein System, in dem Personen oder Dinge nach bestimmten Kriterien in eine Rangordnung gebracht werden. Im (Arbeits-)Alltag ist diese Wahrnehmung individuell geprägt und beruht auf persönlichen Erfahrungen mit diesem System der Rangordnung.
Ich denke als erstes an die professionelle Gastronomie mit klar definierten Rollen: Chefköchin, Sous-Chefs, Küchenhilfen. Trotz klarer Rollenverteilung und großer Machtunterschiede arbeiten alle reibungslos zusammen, um für die Gäste einen besonderen Abend zu kreieren. Aus meiner Perspektive ist es ein positives Bild, denn diese Struktur ermöglicht Effizienz und Qualität. Es ist aber auch ein utopisches Bild, denn noch immer ist der Alltag zu oft geprägt von Geschrei und Schikanierungen.
Negative Assoziationen dieser Art sind besonders bei jüngeren Arbeitnehmergenerationen verbreitet. Leider sind auch außerhalb der Küche negative Beispiele hierarchischer Strukturen Alltag. Dazu gehören mikromanagende Führungskräfte, Vorgesetzte, die sich ungefragt mit Erfolgen ihrer Mitarbeitenden schmücken, oder im schlimmsten Fall Machtmissbrauch. Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass hierarchische Strukturen nicht so gelebt werden müssen und dass durch respektvollen Umgang und hierarchieübergreifende Strukturen ein positives, effizientes und zugewandtes Miteinander entstehen kann.
Hilfreich ist, wenn schon in der Mission und den Werten angelegt ist, dass gemeinschaftliches Handeln gewollt ist. Bürgerstiftungen bieten sich hier an, weil der Mitmachgedanke impliziert, dass alle etwas beitragen können und sollen. Die BürgerStiftung Hamburg folgt dieser Haltung ebenfalls, und auch wenn wir nicht frei von Fehlern sind, gelingt es, wichtige Rahmenbedingungen zu schaffen, die Voraussetzung für positive hierarchische Strukturen sind.
Ein respektvoller Umgang mit Hierarchie bedeutet für mich, dass Führungskräfte ihre Macht nicht stoisch einsetzen oder missbrauchen, sondern zur Förderung von Zusammenarbeit nutzen. Führen sollte, wer Kompetenz besitzt – bei fachlichen Details sind das oft die Mitarbeitenden, die das Projekt umsetzen, beim strategischen Weitblick eher die Führungskraft. Für den Erfolg müssen beide Perspektiven zusammenwirken. Dafür braucht es eine konstante Reflexion der eigenen Machtposition und des eigenen Verhaltens. Dazu gehört auch, Fehler und Schwächen zu akzeptieren, zu reflektieren und anzuerkennen. Das liest sich hier sehr idealistisch – ist in der Praxis aber ein konstanter und nicht immer leichter Prozess, bei dem auch die Führungskraft scheitern darf. Aus eigener Erfahrung möchte ich aber sagen: Es lohnt sich trotz schmerzhafter Misstritte, dranzubleiben.
Ich möchte hier noch einen Schritt weiter gehen, denn diese notwendige Reflexion sollte kein rein internalisierter Prozess sein. Es braucht Gesprächspartner:innen, die zuhören, Feedback geben und ehrliche Kritik üben, damit Reflexion gelingen kann. Erfahrungsgemäß hilft es, wenn das nicht nur Freunde oder Lebensgefährt:innen sind, sondern Menschen, die die Details des Vorhabens, Projekts oder der Organisation kennen. Wir alle haben Kolleg:innen, mit denen wir über unseren Arbeitsalltag sprechen. Allerdings wählen wir befreundete Kolleg:innen eher nach Sympathie als nach hierarchischer Rolle aus. Gerade in Führungspositionen müssen bei vielen Themen Vertraulichkeiten berücksichtigt werden. Diese lassen sich nicht mit Menschen besprechen, die zwar Freunde sind, aber nicht die gleiche Position in der Hierarchie einnehmen.
Deswegen braucht es gerade in hohen Positionen hierarchische Modelle, die gemeinschaftliches Führen ermöglichen. Co-Führen stellt sicher, dass es stets jemanden auf gleicher Ebene gibt, der alle Details kennen darf und als wichtige:r Reflektionspartner:in dienen kann. Darüber hinaus bietet dieser Ansatz weitere Vorteile: Er reduziert die Belastung einzelner Führungskräfte, ermöglicht Teilzeit-Profile und trägt zu besserer Work-Life-Balance und höherer Zufriedenheit bei.
Auch das leidige Vertretungsthema entspannt sich, und die Ansprechbarkeit fürs Team bleibt selbst bei hoher Belastung erhalten. Zudem erfordern hohe Führungspositionen komplexe Anforderungsprofile. Durch die Besetzung mit zwei Personen können unterschiedliche Kompetenzen verknüpft werden, was sicherstellt, dass das gesamte Profil abgedeckt ist.
Natürlich sind die Herausforderungen nicht abzusprechen. Die Einführung gemeinschaftlicher Führung kann zusätzliche Kosten verursachen; zwei Personen auf 30 Stunden sind eben mehr als eine auf 40. Dem gegenüber steht, dass zufriedene Angestellte, die nicht dauerhaft strukturell belastet sind, länger und beständiger in einer Organisation bleiben und damit wichtige Stabilität ins Team bringen. Zwei Personen erfordern zwar ein höheres Maß an Absprache, Abstimmung und Rollenverteilung, bieten aber auch die Chance, mehr Kontaktpunkte ins Team zu schaffen. Nicht zu unterschätzen ist, dass Arbeitsteilung nach individuellen Kompetenzen, Stärken und Schwächen der Co-Führenden am Ende eine Bereicherung für die Organisation bedeutet.
Klar ist, dass auch Austausch und Reflexion über die eigene Hierarchieebene hinaus entscheidend sind, wenn alle Perspektiven in der Organisationsstruktur einbezogen werden sollen. Denn es ist nicht die Existenz von Chefkoch, Sous-Chefs und Küchenhilfen, die negative Erfahrungen mit Hierarchie erzeugt, sondern wenn die Chefköchin nur an ihr eigenes Wohl denkt und Kritik ihrer Angestellten ignoriert. Es braucht Kommunikation, die ermöglicht, dass alle Ebenen Kritik äußern können. Das gelingt leichter, wenn es jemanden gibt, der dem Chefkoch ohne Angst und Druck sagen kann: „Das war jetzt richtig daneben.“ Damit auch die oberen Ebenen nicht vergessen: Ohne Tellerwäscher:innen bricht der Laden zusammen.
Hierarchie, abgeleitet aus dem Griechischen, bedeutet „heilige Ordnung“. Im Arbeitsalltag wird sie individuell erlebt. Negative Beispiele wie mikromanagende Führungskräfte oder Machtmissbrauch sind weit verbreitet. Durch respektvollen Umgang und hierarchieübergreifende Strukturen kann jedoch ein positives, effizientes Miteinander entstehen. Co-Führen bietet Vorteile wie bessere Work-Life-Balance, umfassendere Entscheidungsfindung und mehr Stabilität. Höhere Kosten und erhöhter Abstimmungsbedarf sind Herausforderungen, doch die Vorteile überwiegen klar. Entscheidend bleibt eine Kommunikation, die ehrliche Kritik ermöglicht und alle Ebenen einbezieht.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in Stiftung&Sponsoring RS 03.25