Empathie zeigen, aber auch handeln: Wie Führungskräfte jetzt agieren müssen

Gute Führung zivilgesellschaftlicher Organisationen ist heute wichtiger denn je. Was zeichnet Führungskräfte von Vereinen und Stiftungen aus – und welche Fähigkeiten und Eigenschaften werden aktuell besonders gebraucht? Christian Osterhaus, Experte für Leadership, hat sich unter Führungskräften umgehört. Seine Umfrage zeigt eindeutige Ergebnisse.

Die ganze Welt verfolgt am „Todeszahlen-Barometer“ der Corona-Krise, was menschenverachtende Führung „kostet“: Trump, Bolsonaro, Johnson …  Jeden Tag führen uns die Medien vor Augen, wie wir nicht regiert werden wollen. Näher stehen uns die Führungskräfte der eigenen Organisation; ihre Emotionen, ihr Agieren, ihre Entscheidungen.

Diejenigen, die sich die intensivsten Gedanken darüber machen, was jetzt von ihnen erwartet wird, sind die Führungskräfte selbst.

Die Umfrage

In der ersten April-Hälfte 2020 wurden 20 Führungskräfte der Zivilgesellschaft in einer qualitativen Untersuchung befragt, von denen 15 mitwirkten. Es handelte sich um offene Fragen zur Führung zivilgesellschaftlicher Organisationen in der aktuellen Situation. Erweitert wurde die Untersuchung durch 10 elektronisch geführte Gespräche mit Führungskräften aus 5 Ländern/3 Kontinenten.
Die Zitate in diesem Text sind den Antworten entnommen. Sie werden anonymisiert wiedergegeben.

Die Ergebnisse wurden erstmals auf dem virtuellen Fundraising-Kongress am 28.4.2020 vorgestellt. 

Vielzahl an Aufgaben – schon in „normalen“ Zeiten

Welche Eigenschaften und Fähigkeiten werden derzeit besonders dringend benötigt? Diese Frage schallt nicht in einen luftleeren Raum:

„Schon im ‚normalen Alltag‘ von NPOs ist es eine zentrale Herausforderung an die Führung, kurzfristiges und langfristiges Handeln und Planen auszubalancieren. Die Alltagsarbeit ist oft der Taktgeber für alles. Gerade die mit ‚Frontline Services‘ waren die letzten Wochen damit beschäftigt, jeden einzelnen Tag zu überstehen. Gedanken an den nächsten Monat, das nächste Quartal, das nächste Jahr, sind da nur ganz schwer möglich.“

Viele Führungskräfte zivilgesellschaftlicher Organisationen waren schon vor der Krise tendenziell von der Vielzahl ihrer Aufgaben – und dem Mangel an Ressourcen – stark gefordert. Krisen – und diese ganz besonders – haben die hässliche Eigenschaft, die fehlenden Kapazitäten und Schwachstellen der Organisationen aufzudecken.

Was zeichnet gute Führung aus?

Führungskräfte sollen wahre „Menschenversteher“ mit enorm vielen positiven Fähigkeiten und Eigenschaften sein:

„Empathie und aktives ‚Umfangen‘ der Mitarbeitenden, Einfühlungsvermögen, mit gutem Beispiel vorausgehen, gute Nerven, Vertrauen, Ruhe und Zuversicht ausstrahlen, Ehrlichkeit, Mut, Nervenstärke, Schnelligkeit, Flexibilität, Kreativität, Bescheidenheit und Demut …“

All dies (und noch viel mehr) sind Erwartungen der Führungskräfte an sich selbst! Beeindruckend, wie sehr sie sich darüber im Klaren sind, welche Qualitäten von ihnen verlangt werden – und was sie auch zu geben bereit sind. Letztlich Talente, die gute Führung auch in normalen Zeiten auszeichnet, nun aber noch bedeutender werden.

Positive Kommunikation

Gleichzeitig ist die Fähigkeit zu guter, positiver Kommunikation gefordert – gerade auch angesichts der virtuellen Kommunikationsplattformen:

Gut zuhören können, positive, einfache Kommunikation, klar und transparent, gerade bei Personalangelegenheiten (Kurzarbeit, Überstundenabbau, Urlaub). Kommunikation, die all denjenigen Halt gibt, die sich am liebsten ängstlich zurückziehen wollen.“

Aber: Vorsicht davor, diesen Positiv-Ansatz zu überziehen. Vertrauen wächst nur, wenn Führungskräfte – bei allen Unwägbarkeiten – als authentisch wahrgenommen werden. Daher ist der „mein Glas ist halb voll-Ansatz“ in Krisenzeiten besser geeignet als ein überraschendes „yes, we can!

Das Beste aus der Situation machen

 „Gerade jetzt ist es notwendig, den Überblick zu behalten, innere Ruhe und einen klaren Kopf zu bewahren, das Beste aus der Situation zu machen. Das strahlt Sicherheit aus, verhindert das ‚Kopf in den Sand stecken‘.“

Nun zeigt sich, ob die Führungskraft authentisch ist, innere Stärke hat (einen klaren Kompass), fußend auf kompetenter Selbst-Reflexion. Natürliche Führungsstärke idealtypisch erweitert durch Fortbildungen und die Begleitung und Spiegelung durch unabhängige Kolleginnen oder Berater.

Leadership ist Selbsterkenntnis – bei Führungskräften der Zivilgesellschaft verbunden mit dem Wissen über die eigenen emotionalen und gesellschaftlichen Wurzeln, Zielen, einer persönlichen Mission (möglichst nahe der Mission der eigenen Organisation). Dies verleiht enorme Stärke und Orientierung für das Führungs-Handeln.

Chancen erkennen und nutzen

„Positives aus der Krise schöpfen, individuelles und gesellschaftliches Handeln zugunsten von mehr Solidarität, Umweltbewusstsein, Bescheidenheit zu organisieren, strukturelle Nachteile von Benachteiligten und Risikogruppen auszugleichen“ bedeuten ganz neue Chancen für die Zivilgesellschaft. Das ‚Publikum‘ – Öffentlichkeit und Spenderinnen und Spender sind empfänglicher als sonst, Solidarität relevanter.

Die wichtigsten Untersuchungsergebnisse

1) Führungskräfte sehen in der Krise eine enorme Bewährungsprobe für sich selbst und ihre Organisationen.

2) Ihre Wirkung & Ausstrahlung auf ihre zentralen Anspruchsgruppen (insbesondere die Mitarbeitenden) ist von großer Bedeutung – jede/r beobachtet sie und erwartet Sicherheit und Orientierung.

3) „Soft Skills“ – Empathie, Nähe, Zuwendung, die Fähigkeit zu moderieren und zusammen zu halten, stehen so hoch im Kurs wie nie zuvor.

4) Gleichzeitig muss gehandelt werden: Entscheidungen werden erwartet – Führungskräfte können jetzt Veränderungen erreichen, die zuvor undenkbar erschienen, können erfolgreich sein.

5) Aber Vorsicht: Nichts übertreiben, die Organisationen und ihre Mitarbeitenden brauchen zuallererst Sicherheit – schlimm wäre es hyperaktiv, hektisch oder sogar unsicher zu wirken.

 

Fazit: Führung wird noch anspruchsvoller

Diesen Anforderungen umfassend gerecht zu werden, scheint geradezu überwältigend. Prinzipiell sind sie nicht neu, gelten auch sonst. Führen in Krisenzeiten erfordert also nicht, dass Führung neu erfunden werden müsste! Beruhigend: Es gibt keinen Bedarf an einer grundsätzlich neuen Führungsphilosophie. Führungsbedarf und -fähigkeiten ändern sich durch Krisen nicht abrupt. Aber alles wird noch anspruchsvoller. Im Vordergrund steht das Einfühlungsvermögen – zumindest bis auf Weiteres.

Wenn jedoch das Fundraising miserabel aufgestellt ist und die Eigenfinanzierung wackelt, wenn schon vorher vorhandene institutionelle Defizite die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit einschränken, wenn dies die Organisation lähmt, werden plötzlich ‚Hard Skills‘ gefordert. Die meisten Führungskräfte der Zivilgesellschaft wären darauf nicht vorbereitet …

 

HINWEIS: Dieser Beitrag ist erstmals im Blog vom Fundraising Magazin erschienen.